Den falschen Zug nehmen
Montag, 07.15 Uhr. Stehe endlich mit allen meinen Kindern am richtigen Gleis. Vor unserem Zug wird noch ein Schnellzug Richtung Basel einfahren. Dann kommt unsere Regionalbahn. Meine fünf Egoterroristen stehen schon ganz nahe an der Bahnsteigkante. Könnte ja einer vor ihnen in den Zug reinkommen. Das geht ja gar nicht. Rufe ihnen zu, sie sollen etwas zurücktreten. Machen sie auch, murrend.
Wenn Blicke töten könnten!
Denke, wenn der Schnellzug jetzt hält und ich eine Vorwärtsbewegung, als ob ich in diesen Zug steigen wollte, mime, dann würden die Big Five sofort den Zug stürmen. Ich aber würde draußen stehen und denen zugucken, wie sie sich um die besten Plätze streiten, während der Zug sich wieder in Bewegung setzt. Und fünf Minuten später würde ich mit meinen braven und folgsamen Schülerinnen und Schülern in den richtigen einsteigen. Die anderen würden noch nicht gemerkt haben, dass sie im falschen Zug sitzen. Würde gerne sehen, was die für Augen machen, wenn die vom Schaffner wegen ihrer nicht vorhandenen Fahrkarten ins Gebet genommen werden. Schwarzfahren soll nicht gerade billig sein. Geschehe ihnen mal ganz recht! Die immer mit ihren Extratouren. Können sich nie an die Gemeinschaft anpassen.
Oder vielleicht hätten die ihren Fehler doch schneller als der Fahrkartenkontrolleur bemerkt und sprängen dann am nächsten Hauptbahnhof raus und stünden da und wüssten nicht wie es weiter gehen soll. Spätestens dann würden sie realisieren, dass für sie der Zug zur Klassenfahrt abgefahren ist.
Ich lächle still vor mich hin.
Male mir aus, welches Hallo mich erwarten würde, wenn ich dann im Zug sitzend in der Schule anrufen und dort Bescheid sagen würde, dass die üblichen fünf meiner Klasse in den falschen Zug gerannt seien und nicht meinen Anweisungen nachgekommen sind. Kenne die zweite stellvertretende Schulleiterin Okod-Okod gut genug um sie schon mit latenter Panik in der Stimme zu hören: „Die armen Kinder! Was passiert jetzt mit denen?“ Weiß aber auch, dass Kollege Ruhigplud, als erster Stellvertreter, die Sache pragmatisch sehen würde: „Dann fahren die halt nicht mit und müssen ab Morgen wieder in die Schule. Konferenz machen wir nach der Fahrt. Ich setz schon mal die Briefe auf.“
Das Kollegium würde sich nur bedingt freuen. Naja, einige vielleicht schon. Sind die Big Five doch wegen ihres Auftretens und Verhaltens öfter Schulgespräch. Denke, es wäre vielen Lehrern eine Genugtuung die fünf für ihre Eigenmächtigkeiten mal leiden zu sehen.
Packe meinen Koffer und hebe ihn an. Die fünf schauen kurz zu mir und tuscheln.
Kann mir die Reaktionen der Eltern lebhaft vorstellen, nachdem die Schulleitung bei denen zu Hause angerufen und den verdutzten Müttern und Vätern erklärt hätte, dass ihre Kinder nun eben in der Schule, statt auf der Klassenfahrt, ihrer Schulpflicht nachkommen müssten. Wahrscheinlich würde das der Kollege Ruhigplud übernehmen. – Kann mir lebhaft Frau Affiche[1] vorstellen, wie ihr die Augen rausträten und sie mit Herrn Ruhigplud anfinge rumzuschreien, was wir für ein Saftladen seien. Während sich Vater Lusa[2] wegen der Aufsichtspflichtverletzung bestimmt wieder schriftlich an die Bildungsministerin wenden wollen würde. Er schreibt so oft an die Ministerin, dass er wahrscheinlich schon einen eigenen Aktenschrank bei ihr im Büro bekommen hat. Bekam aber noch nie eine positive Rückmeldung, weil sein Sohn immer solchen Mist macht, dass die Schule immer Recht hat ihn zu „verknacken“ wie er sich auszudrücken beliebt. Würde ihm also auch diesmal nichts bringen. Den Eltern der anderen drei wäre es bestimmt egal. Ist es sonst auch.
Ich stelle meinen Koffer etwas nach vorn. Schaue nach der Kollegin am anderen Ende des Bahnsteigs.
Träume vom Empfang, den die fünf am nächsten Morgen in der Schule hätten. …
… wollen Sie wissen, wie die Geschichte weitergeht?
Freuen Sie sich auf mein nächstes Buch!
[1] Synonym für Aggression; Bedeutung: Angriff
[2] Wortspiel